Expertise: Das Kunsturteil zwischen Geschichte, Technologie, Recht und Markt
Internationales Kolloquium
Zürich, SIK-ISEA, 16.-17. Mai 2013
Konzept
Die kennerschaftliche Begutachtung von Kunstwerken mit dem Ziel ihrer Authentifizierung ist eines der Kerngeschäfte der kunstwissenschaftlichen Praxis und deshalb von hoher kunsthistorischer und ökonomischer Relevanz. Dies tritt immer dann besonders augenfällig in Erscheinung, wenn Fehlurteile zu Störungen im Getriebe des Kunstmarkts führen und die Frage nach den richtigen Methoden der Wahrheitsfindung über die Medien an die Öffentlichkeit getragen wird. Der oftmals darauffolgende Ruf nach naturwissenschaftlichen Verfahren verstellt den Blick dafür, dass Prozesse der Authentifizierung in komplexen epistemischen Strukturen angelegt sind, in denen das vergleichende Sehen, kunsthistorische Kontextualisierung, Archiv- und Provenienzforschung sowie optische und chemische Analysemethoden ineinander greifen. Die Untersuchung von Prozessen und Akteuren im Handlungsfeld der kunstwissenschaftlichen Expertise führt daher zunächst zu Fragen nach den Möglichkeiten und Voraussetzungen kunsthistorischen Wissens, insbesondere im Kontext von Connoisseurship und Stilkritik, die den geisteswissenschaftlichen Zugang zum Gebiet der Kunstexpertise über Jahrhunderte beherrschten. Ein weiteres Themenfeld ergibt sich aus dem nicht selten antagonal wirkenden Zusammenspiel von geistes- und naturwissenschaftlichen Methoden, deren unterschiedliche Wissenschaftskulturen die am Erkenntnisprozess beteiligten Forschenden in besonderer Weise herausfordern. Mit den rechtlichen Folgen, die solchermassen gewonnene kunsthistorische Urteile haben können, befassen sich seit einigen Jahren immer mehr Spezialisten des Kunstrechts. So stehen inzwischen ausdifferenzierte und weitgehend konsensfähige rechtliche Beurteilungen bezüglich der Ausgestaltung von Expertisen, ihrer Rechtswirkung und der Haftung ihrer Verfasser zur Verfügung – Beurteilungen allerdings, die von den Kunstexperten selbst kaum zur Kenntnis genommen werden. Der juristische und der kunstwissenschaftliche Diskurs verlaufen mehrheitlich berührungsarm, zwischen Theorie und Praxis besteht ein Graben. Hier wiederum schliessen ethische Fragestellungen sowie Aspekte der Beziehungen zwischen Expertenwissen und Marktverhältnissen an. Von Interesse sind insbesondere die Mechanismen, die zur Einsetzung von Experten führen. Dabei gilt als Experte, wer aufgrund seiner ausgewiesenen Kenntnisse und Fähigkeiten vom Markt als besonders geeignet angesehen wird (sog. Selbstreferenz des Kunstmarkts).
Organisation
Dr. Roger Fayet (SIK-ISEA)
lic. phil. Regula Krähenbühl (SIK-ISEA)
Prof. Dr. iur. Mischa Senn (ZHdK)
Prof. Dr. Tristan Weddigen (UZH)
Veranstalter
Schweizerisches Institut für Kunstwissenschaft (SIK-ISEA)
Kunsthistorisches Institut (KHIST) der Universität Zürich (UZH)
Zentrum für Kulturrecht (ZKR) der Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK)
Programm
Donnerstag, 16. Mai 2013
13.00 Uhr Begrüssung und Einführung ROGER FAYET, Direktor SIK-ISEA
I. Geschichte und Methodologie der Kennerschaft
Moderation: NICOLAS GALLEY
- 13.15 Uhr JAN BLANC
«Une histoire de nos erreurs personnelles»: pour une psychanalyse de l’expertise artistique - 14.00 Uhr VINCENT CHENAL
Polémiques et contestations publiques de l’expertise dans le marché de l’art et les musées de 1800 à 1850 - 11:30 – 11:50 Break
Moderation: TRISTAN WEDDIGEN
- 15.15 Uhr ARIANE MENSGER
Frühe Kennerschaft. Kontext, Selbstverständnis und Methode - 16.00 Uhr ANTOINETTE FRIEDENTHAL
Marktwissen – Wissenschaft. John Smith und sein «Catalogue Raisonné of the Works of the Most Eminent Dutch, Flemish and French Painters» (1829–42) - 16.00 Uhr MEIKE HOPP
«Sens unique – sens pratique»: Die Expertise in der Krise 1930
ABENDVORTRAG
- 18.30 Uhr PASCAL GRIENER
The Conflict of the Faculties. The Old Masters under Scrutiny (End of the19th-c.–Beginning of the 20th-c.)
Freitag, 17. Mai 2013
II. Expertise: Rechtliche Anforderungen und Rechtsfolgen
Moderation: MISCHA SENN
- 9.30 Uhr MISCHA SENN
Einführung in die rechtlichen Fragestellungen - 9.45 Uhr WOLFGANG ERNST
Das Kunstgutachten im Spannungsfeld der Interessen – eine juristische Sicht - 10.45 Uhr KATHARINA GARBERS-VON BOEHM
Der gute Glaube an die kunsthistorische Expertise: Lehren, die die Praxis aus den jüngsten Fälschungsskandalen ziehen kann - 10.45 Uhr KATHARINA GARBERS-VON BOEHM
Der gute Glaube an die kunsthistorische Expertise: Lehren, die die Praxis aus den jüngsten Fälschungsskandalen ziehen kann - 11.15 Uhr HENRIETTE KÜFFER
Die Expertise – fleissige Dienerin oder wahre Königin der Strafjustiz? Überlegungen zur Rolle der Expertise im schweizerischen Strafverfahren anhand eines gefälschten Manets
III. Kennerschaftliche Praxis
Moderation: REGULA KRÄHENBÜHL
- 13.30 Uhr MARKUS KÜFFNER
Authentizitätsprüfung: Ein Zusammenspiel der Disziplinen - 14.15 Uhr FLORIA SEGIETH-WÜLFERT
Echtheitsbestimmung und Fälschungserkennung von Kunst und Kulturgut als interdisziplinäre Aufgabe und Herausforderung - 15.30 Uhr BARBARA NÄGELI
Das Auge ist der Richter? Der Kennerblick in der Kritik - 16.15 Uhr PAYAL ARORA / FILIP VERMEYLEN
Are we all connoisseurs now? The changing landscape of art expertise in the Web 2.0 era